
Wie Gisela Bauer morgens bis um 12.30 Uhr 22 Kunden versorgt
Tag für Tag machen sich unsere 25 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Ambulanten Diensten am Marienkrankenhaus auf den Weg zu ihren Patienten und Kunden. Dazu gehört auch Gisela Bauer. Sie haben wir auf einer ihrer Touren begleitet.
Alfons Meilenstein* hat heute einen guten Tag: „Nachher will ich wieder auf den Weinberg rauf. Bis ich die Windräder sehe.“ – „So fit möchte ich in Ihrem Alter auch noch sein“, entgegnet Gisela Bauer dem 78-Jährigen und reicht ihm ein Glas Wasser. Für die gelernte Altenpflegerin ist er der 18. Kunde an diesem Morgen. Bei ihm muss sie vor allem darauf achten, dass er seine Medikamente nimmt. Bei anderen sind die Herausforderungen weitaus größer.

Gisela Bauer ist gelernte Altenpflegerin. Lange Zeit arbeitete sie in einer stationären Einrichtung. Inzwischen schätzt sie den Rhythmus ihrer täglichen Tour durchs Nassauer Land.
Morgens um sieben geht es los. „Da sehen wir in die Akten und prüfen, ob es Besonderheiten gibt, auf die wir achten müssen. Haben wir bei einer Patientin zum Beispiel eine Rötung in einer Bauchfalte entdeckt, müssen wir das festhalten. Nicht nur, um uns selbst daran zu erinnern. Sondern auch für den Fall, dass die Tour am nächsten Tag jemand anders fährt“, so die 60-Jährige.
Sie fährt normalerweise die Tour Nummer 2. Insgesamt gibt es acht Touren am Vormittag. Drei werden von den examinierten Kräften übernommen, die zum Beispiel auch Medikamente geben oder Wunden behandeln dürfen.
Frau Schober will duschen
Von Alfons Meilenstein aus geht es zu Maria Schober*, fünf Kilometer weiter. Die Entfernungen auf dem Land sind manchmal groß. „Aber die paar Minuten Zeit, die man zwischen den einzelnen Patienten hat, tun gut“, sagt Gisela Bauer, die sich schon wieder auf eine ganz andere Kundin einstellen muss.

Frau Schober will dienstags immer geduscht werden. Und Haare waschen. „Das ist körperlich schon eine Nummer anstrengender“, weiß die Altenpflegerin, als sie ins Haus geht. Die 86-jährige steht bereits im Bademantel an der Tür: „Da sind Sie ja. Schön, dass Sie kommen.“ Die beiden plauschen zunächst über das gute Wetter. Aber Maria Schober lenkt das Gespräch schon bald auf ihren verstorbenen Mann: „Der lässt mich schon so lange allein.“
Gisela Bauer kennt die Lebensläufe ihrer Kunden. Die Schicksale, die sie zu verkraften haben. Und sie weiß, dass es den Menschen guttut, wenn ihnen jemand zuhört und mit ihnen spricht. „Das ist keine Leistung, die wir abrechnen können. Aber doch eine ganz wesentliche, die uns als kirchliche Einrichtung ausmacht“, spürt sie.
Behutsam setzt sie die alte Dame auf den Stuhl in der Duschkabine. Schnell steigt darin heißer Dampf auf. Für Maria Schober kann es kaum warm genug sein. Gisela Bauer schwitzt. Sie seift Maria Schober nicht nur ein – sie wirft auch einen Blick auf ihre Haut. Irgendwelche Rötungen oder Auffälligkeiten? Nein, der Kundin geht es gut.
Eine Viertelstunde kehrt die 86-frisch angezogen mit zufriedenem Lächeln ins Wohnzimmer zurück. Gisela Bauer hat noch einen roten Kopf: „Das war fast wie ein Saunagang.“
„Gut, dass ich Sie habe“
Vom Wohnzimmer aus kann man über den Ort bis zur Burg Nassau sehen. „Gut, dass ich Sie habe“, sagt die alte Dame zu Gisela Bauer. Ihre einzige Tochter wohnt eine Stunde entfernt. Ihr Sohn lebt nebenan, ist aber dienstlich von früh bis abends unterwegs. Sie weiß, dass sie ohne den Pflegedienst wohl nicht mehr hier leben könnte – „aber das will ich, solange es geht. Das ist doch mein Zuhause.“

Zurück im Auto, stoppt Gisela Bauer mit dem Mobilen Datenerfassungs-Gerät die Zeit. „30 Minuten. Das war eigentlich zu lange“, weiß sie. Aber beim Duschen kann man schlecht eine Stoppuhr mitlaufen lassen. Denoch ist es wichtig, die Zeiten einzuhalten. Auch der Medizinische Dienst der Krankenkassen prüft die genau.
Ein paar Straßen weiter wartet Elke Rauting* in ihrem Rollstuhl hinter der Tür schon ungeduldig darauf, dass es klingelt. Die nächste Patientin. „Bei ihr war ich gestern nicht. Sie war wegen einer OP im Krankenhaus“, erklärt Gisela Bauer. Sie ist gespannt darauf, ob alles glatt gelaufen ist.
Frau Rauting ist noch nicht im Rentenalter und dafür viel zu krank. Ohne Pflegedienst geht es nicht mehr. Die Beine benötigen täglich neue Kompressionsverbände. Und jetzt die Operation. Zunächst ist sie erleichtert, Gisela Bauer zu sehen. Aber dann wird ihre Stimme brüchig: „Ich habe Krebs. Jetzt soll ich eine Chemo kriegen. Dabei wird mir sowieso schon so schnell schlecht…“ Und dann beginnt sie zu weinen.
Auch in solchen Situationen muss die Altenpflegerin die richtigen Worte finden: „Gerade waren Sie doch noch so fröhlich.“ – „Ja“, sagt die Patientin, als sie sich mit Schmerzen vom Rollstuhl ins Bett zieht. „Ich will auch nicht weinen. Ich will das anpacken. Die Ärzte meinen, dass ich das überstehe.“ – „Na, das ist doch die richtige Einstellung“, sagt Gislea Bauer, kniet sich vor sie und legt ihr die Verbände an.
„Natürlich höre ich dann zu“

Als Gisela Bauer zum Wagen zurückkehrt, tippt sie die nächste Zeit ins Erfassungsgerät: „22 Minuten, das geht ja noch. Aber auch hier hätte ich mich schlecht mehr beeilen können. Natürlich höre ich zu, wenn eine Kundin eine so schwere Diagnose zu verkraften hat.“ Immerhin: Bei einigen Kunden ging es heute auch etwas schneller – „oft gleicht sich das wieder aus.“
Deshalb kommt die Altenpflegerin von Tour 2 auch noch halbwegs pünktlich um 12.30 Uhr ins Büro der Ambulanten Dienste zurück. Hier überträgt sie ihre Beobachtungen in die Patientenakten. Hinter die Medikamentengabe für Herrn Meilenstein wird ein Haken gemacht. Auch beim Duschen für Frau Schober. Und Frau Rauting hat ihre Verbände bekommen. Diesen Blättern nach zu urteilen war es eine ganz normale Tour. Eine von acht an diesem Morgen. Zwei weitere folgen in den Mittagsstunden, zwei weitere am Abend.
Aber Gisela Bauer hat jetzt Feierabend. Zufrieden winkt sie den Kolleginnen zu: „Bis morgen!“ Dann geht die Fahrt zu ihren 22 Kunden von vorne los.
*Namen von der Redaktion geändert